Einleitung
Ab April 2015 sollen in einem Containerlager in der Schönagelstraße in Berlin-Marzahn Geflüchtete untergebracht werden. AktivistInnen aus dem NW Berlin, ‚altgediente‘ KameradschafterInnen aus den 90ern sowie VertreterInnen der Parteien NPD und ‚Die Rechte‘ konnten in den vergangenen drei Wochen mehrere hundert lokale Hooligans und rassistische AnwohnerInnen auf die Straße bringen. Nach drei sehr erfolgreichen Montagsdemos wird für morgen, den 22. November, zu einem überregionalen Aufmarsch gegen ‚Asylmissbrauch‘ aufgerufen. Ein breites Bündnis ruft zu Gegenprotesten und Blockaden auf, damit die Nazis keinen einzigen Meter mehr ungestört durch Marzahn laufen. An dieser Stelle erfolgt deshalb eine kurze und zusammenfassende Darstellung der letzten drei Wochen in Marzahn.
Vorgeschichte
Seit Juli 2013 ist der Bezirk Marzahn-Hellersdorf eines der Hauptbetätigungsfelder für die organisierten Nazistrukturen Berlins. Erste Plakate einer ‚Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf‘ (BMH), mit einschlägigen Parolen gegen das neu entstehende „Heim“ in der Carola-Neher-Straße / Maxie-Wander-Straße, tauchten direkt nach Bekanntgabe in der Bezirksverordnetetenversammlung in verschiedenen Kiezen des Bezirks auf. Mit einer entsprechenden Inszenierung auf Facebook gelang den Nazis schließlich die Etablierung einer vermeintlichen ‚Informationsplattform‘ für BürgerInnen in direkter Nachbarschaft und im gesamten Bezirk. In den Tagen vor der Informationsveranstaltung sammelten sie kontinuierlich UnterstützerInnen, die den 9. Juli 2013 schließlich zum ‚Braunen Dienstag‘ machten. In den darauffolgenden Wochen und Monaten bemühten sich NPD und BMH, gleichermaßen in Kampagnenform, um die Deutungs- und Meinungshoheit im Kiez. Diese dicht aufeinanderfolgenden Aktionen, deutlich ausgerichtet auf verschiedene soziale Gruppen im Bezirk, zogen sich noch bis zum Einzug der Geflüchteten am 19. August 2013 hin.
Eine ebenso empfehlenswerte wie umfangreiche Darstellung und Bewertung der Ereignisse wurde im August 2014 von der Gruppe DOST erarbeitet.[Fußnote 1]
BBM und bürgerliche AnwohnerInnen-Initiative
Am 20. Oktober 2014 wurde erstmals öffentlich, dass an insgesamten sechs Standorten in Berlin sogenannte ‚Containerlager‘ für Geflüchtete errichtet werden. In der folgenden Berichterstattung und im Volksmund etablierte sich daraufhin die meist durchweg euphemistische Bezeichnung als Containerdorf. Kurz nach der Veröffentlichung gründeten und etablierten die Nazis auch in Marzahn sehr schnell eine erfolgreiche Facebookseite namens ‚Bürgerbewegung Marzahn‘(BBM). Außerdem trat parallel dazu, nach bisherigen Kenntnissen unabhängig davon, eine eher kleinbürgerliche AnwohnerInnen-Initiative aus der direkt anliegenden Einfamilienhausgegend in Erscheinung. Für den folgenden Montag, den 3. November, kündigten sie eine erste Montagsdemo an. Nachdem bekannt wurde, dass auch die Bürgerbewegungen Marzahn und Hellersdorf für die Teilnahme mobilisierten, sagte der Anmelder die Demo ab. Man wolle sich nicht mit rechten Gruppierungen einlassen, da deren „Ansichten (…) absolut nicht unserem Verständnis von sachlicher Kritik“ entsprechen und da die Sicherheit der TeilnehmerInnen so nicht mehr gewährleistet werden könne.[Fußnote 2] Die Nazis der BBM registrierten diese Distanzierung und kündigten für die nähere Zukunft, zunächst noch sehr vage, eigene Aktionen in Marzahn an.
Die erste Montagsdemo
Zur ersten Montagsdemo am 3. November finden sich aufgrund intern laufender Mobilisierung durch BBH und BBM schließlich ca. 150 Nazis am zukünftigen Standort des ‚Containerlagers‘ ein, darunter auch rassistische und bisher noch nicht einschlägig in Erscheinung getretene AnwohnerInnen. Diesen wird von der Polizei vor Ort eine vermeintlich spontane Versammlung genehmigt. Kurz nach 19 Uhr setzt sich der Aufzug schließlich in Bewegung, es werden Fahnen und Transparente entrollt. Aufgrund der offiziellen Absage sind kaum GegendemonstrantInnen unterwegs, weshalb Nazis und AnwohnerInnen während der zweieinhalb Stunden fast gänzlich ungestört bleiben. So wird der Marzahner Kiez an diesem Abend, zum ersten Mal seit langer Zeit, wieder von lauten und unmissverständlichen Nazi-Parolen dominiert. Im Laufe der Demonstration stoßen weitere AnwohnerInnen spontan dazu, andere belassen es bei ihren Beifallsbekundungen von den Balkonen. Auf der Abschlusskundgebung spricht schließlich Sebastian Schmidtke, Landesvorsitzender der Berliner NPD, bevor der Anmelder Uwe Dreisch (Landesvorsitzender der Partei ‚Die Rechte‘) den Aufmarsch beendet. Die Polizei, deren Zählung sowohl BBM wie auch Presse folgen, spricht von 270 TeilnehmerInnen und lässt keinerlei Gegenproteste zu. In jedem Fall ist der Abend ein durchschlagender Erfolg für die Nazis und zahlreiche AnwohnerInnen kündigen direkt ihr Kommen für die nächste Woche an. Einen Tag später veröffentlicht die BBM per Facebook Termin und Aufruf für eine große Demonstration am 22. November 2014.
Die zweite Montagsdemo
Für den 10. November meldete Hellersdorf Hilft e.V. eine Kundgebung für Solidarität und gegen rassistische Hetze an. Damit wurde ein Anlaufpunkt für linken und zivilgesellschaftlichen Protest geschaffen, an dem sich im Laufe des Abends bis zu 300 Personen beteiligten. Nazis und rassistische AnwohnerInnen sammelten sich auch dieses Mal direkt am Gelände des zukünftigen Containerlagers. Eingekesselt durch behelmte PolizistInnen und getrennt durch eine Reihe Polizei-Wannen, konnten die GegendemonstrantInnen den lautstarken Abmarsch der Nazis nur aus der Ferne beobachten. Die Berliner Polizei machte an diesem Abend zum ersten Mal deutlich, dass ihr Fokus auf der Abschottung des zivilgesellschaftlichen Protests lag. Erst später ließen die PolizistInnen zu, dass sich Kleingruppen in die entgegengesetzte Richtung entfernten. So blieb der Aufmarsch der Rechten bis auf wenige Ausnahmen ein weiteres Mal ziemlich ungestört. Die BBM spricht von 700 bis 800, die Medien (teilweise unter Berufung auf Polizeiberichte) von 500 bis 600 TeilnehmerInnen. Die Polizei gibt laut Medienberichten außerdem an, ca. 40 „polizeibekannte Rechtsextreme“ gezählt zu haben.[Fußnote 3] Die Diskrepanz zwischen den Schätzungen von Medien, Polizei und Antifas dürfte auf einen einfachen Umstand zurückzuführen sein. Den Zeitpunkt der Zählung beziehungsweise Schätzung. Ein weiteres Mal wurde sehr deutlich, wie anschlussfähig die Parolen der Demo im Marzahner Kiez sind, denn neben den teils drastischen Balkongesprächen konnten, so plakativ das auch klingen mag, immer wieder aus Hauseingängen zur Demo hastende Glatzköpfe beobachtet werden. Auf der anderen Seite entfernten sich ebenso regelmäßig Kleingruppen. Mal zum Pissen, Bier holen oder Schlendern abseits der Demonstration und mal auf dem vorzeitigen Heimweg. Daneben bewegen sich einige Nazi-CheckerInnen sowie OrdnerInnen im direkten Umfeld und den umliegenden Straßen.
Die dritte Montagsdemo
Der 17. November brachte die Dynamik der BBM zumindest geringfügig aus dem Gleichschritt. Dieses Mal hatte Hellersdorf Hilft e.V. eine Demonstration für die Strecke der vorangegangenen Woche angemeldet. Damit wurde den Nazis an diesem Abend zum ersten Mal der ihnen wichtige Raum am zukünftigen Standort des ‚Containerlagers‘ streitig gemacht. Davon jedoch unbeeindruckt zogen sie ganz im Sinne der Polizeitaktik über den Blumberger Damm in südliche Richtung. Auf diese Weise konnten sie nach zwei Wochen noch einen weiteren Kiez mit lautstarken menschenverachtenden Parolen überziehen. Das selbst gesteckte Ziel von „1000 Mann“ glaubt die BBM an diesem Abend erreicht zu haben, in den meisten Medien wird die Aussage der Polizei von 700 TeilnehmerInnen aufgegriffen. Wieder reihen sich im Verlaufe des Aufmarsches tatsächliche AnwohnerInnen in den Aufzug ein, der am Ende wahrscheinlich um die 600 Personen umfasste. Die zur dritten Montagsdemo erschienenen PressevertreterInnen stehen während ihrer Arbeit einem aggressiven Mob gegenüber, den die Polizei frei agieren lässt.[Fußnote 4] Aber zum ersten Mal gibt es Videomaterial, das die Nazis aus der Anonymität holt und den hartnäckigen Mythos von friedlichen BürgerInnen eindeutig widerlegt. Zu weiteren Bedrohungen von AntifaschistInnen und Studierenden kam es auch weitab der BBM-Demo, bei der An- und Abreise. Die Berliner Polizei war jedoch auch an diesem Abend sehr darum bemüht, den Nazis und rassistischen AnwohnerInnen einen möglichst ungestörten Ablauf ihrer Veranstaltung zu gewährleisten. So wird in diversen Video-Aufnahmen deutlich, dass sich die wenigen Polizei-Trupps in der großen Menge von rassistischen Arschlöchern auffallend zurückhalten. [Fußnote 5] Im Gegensatz dazu erleben die TeilnehmerInnen der gleichzeitig stattfindenden Demonstration von Hellersdorf Hilft e.V. eine massive und kriminalisierende Polizeipräsenz. Daneben wurden mehrmals Böller auf die Demonstration geworfen.
Und Samstag?
Nach mehreren Erfolgen in verschiedenen Berliner Stadtteilen in drei aufeinander folgenden Wochen gehen die Nazis morgen ein weiteres Mal in die Offensive. Sie haben sichtlich Selbstbewusstsein getankt und wollen sich in Marzahn-Hellersdorf langfristig etablieren. Als Folge der gegenwärtigen Politik des Senats fällt ihnen, um nur einige Beispiele zu nennen, in Marzahn, Buch und Köpenick ein sehr ‚dankbares‘ Thema zu. Ihre Parolen sind und werden anschlussfähiger, nicht nur in Marzahn-Hellersdorf. Damit haben wir ein Problem! Lasst uns morgen in Marzahn dafür sorgen, dass ihr erhoffter Szeneevent keinen Meter weit kommt. Auf allen Ebenen, mit allen Mitteln!
[Fußnote 1] http://dost.blogsport.de/2014/08/09/vorabveroeffentlichung-hellersdorf-r…
[Fußnote 2] http://schoenagelstrasse.de/
[Fußnote 3] http://www.morgenpost.de/bezirke/marzahn-hellersdorf/article134243759/Protest-gegen-Fluechtlingscontainer-staerker-als-erwartet.html
[Fußnote 4] https://www.youtube.com/watch?v=svyndEuVDFI
[Fußnote 5] https://www.youtube.com/watch?v=LX7VM1OUYqM (9-minütiger Clip, der Aufmarsch erscheint ab 02:00)
unvollständiger Pressespiegel:
Die erste Montagsdemo
- https://www.berliner-zeitung.de/polizei/protest-gegen-fluechtlingsunterk…
- https://suburbanhell.org/chronik/2014-11-03-000000/nazi-aufmarsch-gegen-…
- https://www.lichtenbergmarzahnplus.de/menschenverachtende-parolen/
- https://linksunten.indymedia.org/de/node/126613
- https://www.bz-berlin.de/tatort/randale-auf-demo-von-rechtsextremen
- https://m.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/berlin-marzahn-demo-gege…
- https://www.morgenpost.de/bezirke/marzahn-hellersdorf/article133968709/2…
- https://www.berlin.de/polizei/polizeimeldungen/pressemitteilung.221644.php
Die zweite Montagsdemo
- http://www.demotix.com/news/6239904/far-right-protesters-rally-against-refugee-shelter-berlin#media-6239817
- http://www.neues-deutschland.de/artikel/951856.hasserfuellt-gegen-fluech…
- http://www.taz.de/Rechter-Aufmarsch/!149325/
- https://suburbanhell.org/chronik/2014-11-10-000000/2-montagsdemo-gegen-e…
- http://www.morgenpost.de/bezirke/marzahn-hellersdorf/article134243759/Pr…
Die dritte Montagsdemo
- http://www.lichtenbergmarzahnplus.de/falsche-einladung/
- https://suburbanhell.org/chronik/2014-11-17-000000/3-montagsdemo-gegen-eine-unterkunft-f%C3%BCr-gefl%C3%BCchtete-durch-marzahn
- https://hellersdorfhilft.wordpress.com/2014/11/18/starkes-zeichen-gegen-rassismus-in-marzahn/
- https://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2014/11/19/journalistenverband-und-abgeordnete-kritisieren-rolle-der-berliner-polizei-bei-protesten-um-fluechtlingsunterkuenfte_17713
- https://www.rbb-online.de/rbbaktuell/archiv/20141119_2145/Neonazis_Buergerdemo.html
- https://www.taz.de/Protest-gegen-Fluechtlingsunterkunft/!149717/
- http://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/brandstifter-und-biederm-nner
- http://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/int/201411/18/213098.html
- http://www.berliner-kurier.de/polizei-justiz/-montagsdemos–die-rattenfaenger-von-marzahn,7169126,29070690.html
- http://www.bz-berlin.de/berlin/marzahn-hellersdorf/stefan-komoss-braune-demos-sind-gruselig
- http://www.tagesspiegel.de/berlin/protest-gegen-fluechtlinge-in-berlin-demonstrationen-in-marzahn-und-buch-gegen-unterkuenfte-fuer-asylbewerber/10992606.html
- http://www.berliner-zeitung.de/berlin/demos-gegen-fluechtlingsheime-proteste-in-hellersdorf-und-buch,10809148,29072422.html